Ratikalisierte Verschwörungspraxis durch VICE gegen Xavier Naidoo

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Kommentar der MmgZ: Wer für die Warheit ist muß verstehen lernen, wie die „unfreie Presse“ die Wahrheit schreibt, dabei immer noch Personen diffamiert und kriminalisiert, die nichts anderes wollen wie aufklären und die Wahrheit ans Licht bringen.

 

VICE-Recherche: So radikalisiert Xavier Naidoo seine Fans mit Verschwörungstheorien.

Auf den ersten Blick ist es nur eine Aluhut-Fantasie. Aber hinter Xavier Naidoos Erzählungen steckt eine Ideologie, die Menschen zu Gewalt treiben kann.

von Sebastian Meineck 16 April 2020, 9:22am

Man kann kaum wegschauen, wenn Xavier Naidoo weint. Tränenspuren führen von seinen geschwollenen Augen die Wangen hinab. Er zieht den Schleim in der Nase hoch, ringt nach Worten. Und dann verrät Naidoo endlich, was ihn offenkundig so sehr bewegt: Angeblich würden gerade Kinder aus den Händen verbrecherischer Netzwerke befreit. Dahinter steckt ein Verschwörungsmythos, der Menschen seit Jahrhunderten in die Irre führt.

Das Selfie-Video des Sängers ist nur eines von mehreren, die seit März kursieren, zunächst auf Telegram und inzwischen auch auf YouTube. Naidoo spricht darin über den Mythos einer geheimen Gruppe, die angeblich Kinder foltern würde, um ein wertvolles Stoffwechselprodukt aus ihren Körpern zu gewinnen. Das klingt wie der Plot eines B-Movies. Aber es ist ein Mythos, der so ähnlich seit dem Mittelalter kursiert. Nichts daran ist wahr. Wenn man es genau nimmt, kann man es nicht einmal als „Theorie“ bezeichnen.

Schon im Jahr 1235 wurden in Fulda Juden beschuldigt, christliche Kinder getötet zu haben, um ihr Blut zu trinken. Bis heute sind ritualisierte Kindermorde ein Klassiker unter den Verschwörungsmythen. Je nach Mythos gehören dazu auch versteckte Tunnelsysteme und satanistische Folterrituale. Mal sind die vermeintlichen Täter Juden, mal eine nicht näher definierte, geheime Elite. Das Stoffwechselprodukt aus Naidoos Erzählung lässt sich übrigens easy im Labor herstellen. Niemand muss dafür Kinder quälen.

Trotzdem ist der Fall Naidoo nicht einfach die Geschichte eines vereinzelten Promis, der den Bezug zur Realität verloren hat. Hinter Verschwörungserzählungen über gefolterte Kinder stecken gefährliche Weltanschauungen, die Menschen Angst machen und zu Gewalt treiben können. Auch der mutmaßliche Attentäter von Hanau sprach in einem seiner Videos von Kindern, die im Geheimen getötet würden. Der Fall Naidoo macht sichtbar: Verschwörungsglauben ist ein unterschätztes Problem, das weit über die Fantasien eines Sängers hinausgeht.

QAnon und der Sturz ins Kaninchenloch

Der Mythos der vermeintlich gefolterten Kinder ist nur einer von vielen, die Xavier Naidoo verbreitet. 2014 sagte er als Redner einer Reichsbürger-Kundgebung, dass über die Terroranschläge vom 11. September nicht die Wahrheit gesagt werde. In seinen neuen Selfie-Videos zieht Naidoo nun eine Verbindung zwischen „Fridays For Future“ und dem Teufel – und er legt nahe, dass SPD und Linke eigentlich getarnte Faschisten seien. Vieles ist auf den ersten Blick schwer von Satire zu unterscheiden. Doch im Netz stößt man schnell auf Verschwörungs-Communitys, die solche Mythen beharrlich weiterspinnen.

Eine der einflussreichsten Communitys hat sich um eine Verschwörungserzählung namens QAnon gebildet. Der Name geht auf einen anonymen Nutzer namens „Q“ zurück, der vermeintliche Insider-Informationen aus dem Trump-Umfeld ausplaudern soll. Gestartet ist QAnon in den Online-Foren 4chan und 8chan. Da alle User dort den Namen „Anon“ tragen, wurde daraus der Begriff QAnon.

QAnon verwebt gleich mehrere Mythen miteinander. Ähnlich wie bei Naidoo stehen vermeintlich gefolterte Kinder im Mittelpunkt. In dieser Erzählung steht dahinter aber eine geheime politische Elite. Bekämpft würden die Folterknechte von keinem anderen als Donald Trump.

All das könnte auch die zehnte Staffel einer aus dem Ruder gelaufenen Mystery-Serie sein. Die Erzählung hat in den USA eine fanatische Anhängerschaft. Inzwischen kursiert die Erzählung in vielen sozialen Medien.

Ist auch Xavier Naidoo ein QAnon-Gläubiger geworden? Das lässt sich derzeit nicht eindeutig beantworten. Auch wenn sich viele Erzählungen ähneln und überschneiden, sie lassen sich nicht alle in einen Topf werfen. Die Popularität von QAnon zeigt aber, wie wirkmächtig der Mythos von gefolterten Kindern ist, den Xavier Naidoo aufgreift. Letztlich kommt es auch nicht darauf an, die Erzählungen im Detail nachzuvollziehen. Das Wichtige sind die Mechanismen dahinter, die Hunderttausende Menschen selbst von den bizarrsten Dingen überzeugen.

Endlich scheint die Welt in Ordnung

Für viele sind Verschwörungsmythen wirrer Unsinn. Aber für Verschwörungsgläubige bedeuten sie das Gegenteil: Klarheit. „Sie teilen die Welt in Gut und Böse ein“, sagt die Psychologin Pia Lamberty, die an der Universität Mainz über Verschwörungsglauben forscht. Die komplexen, ambivalenten Probleme der Welt erscheinen plötzlich verständlich, wenn man alles Negative einer Kinderquäler-Bande zuschreibt.

„Wer an die Verschwörung glaubt, erhebt sich damit automatisch zum Guten, allein, weil man glaubt, die Wahrheit zu kennen“, sagt Lamberty. Für Verschwörungsgläubige bedeutet das eine Selbstaufwertung. „Wir wissen aus psychologischen Studien, dass Menschen durch den Glauben an Verschwörungen ihr Bedürfnis nach Einzigartigkeit befriedigen können.“

Die Welt von Verschwörungsgläubigen teilt sich damit in die Guten, die Bösen – und all jene, die die vermeintliche Verschwörung noch nicht durchschaut haben. Ein solcher Glaube könne Menschen Orientierung geben, wenn sie einen starken Kontrollverlust erlebt haben, erklärt Lamberty. „So ein Kontrollverlust kann zum Beispiel eine Trennung sein, Jobverlust oder Krankheit.“ Die Corona-Krise zähle auch dazu.

Kontrollverlust ist auch ein Thema in den Selfie-Videos von Xavier Naidoo. In einem Video erzählt er, dass er als Kind selbst sexualisierte Gewalt erlebt habe. Es wäre aber ein Fehlschluss, den Verschwörungsglauben von Xavier Naidoo – oder von irgendjemand anderem – einfach durch eine traumatische Erfahrung zu erklären. Für die meisten Dinge, die Menschen tun, gibt es mehr als einen Grund.

Wie Xavier Naidoo seinen Promi-Status ausnutzt

In Chatgruppen himmeln überzeugte Fans ihr Idol weiterhin an. Als Promi hat Xavier Naidoo einen Einfluss auf zahlreiche Menschen. Die Fantasie-Geschichte von leidenden Kindern klingt aus dem Mund eines Soul-Sängers, dessen gefühlvolle Melodien seit den 90ern im Radio laufen, besonders bewegend. Am 2. April entscheidet sich eine Chatgruppe aus Fans, gemeinschaftlich ein „Herz für Xavier“ zu posten. Ein Screenshot belegt die Herzchen-Aktion. Darauf schreibt ein Fan die Worte: „für Xavier und alle geschundenen Kinderseelen“.

In einem Telegram-Channel mit rund 24.500 Mitgliedern vermischen sich Naidoos Selfie-Videos mit Verlinkungen zu Rechtsaußen-Medien und Uploads von Hits wie „Dieser Weg wird kein leichter sein“. Es gibt auch Bilder mit Sprüchen wie: „Einer für alle, alle für einen“.

In einer Telegram-Gruppe für Fans mit rund 1.500 Mitgliedern ist auch ein Nutzer namens „Xavier“ aktiv, der dort mindestens seit dem 8. März Sprachmemos, improvisierte Songschnipsel und verschwörungsmythische Selfie-Videos veröffentlicht. In den Sprachmemos ist Naidoos Stimme zu hören, in den Videos ist er auch zu sehen. Trotzdem ist das kein eindeutiger Beleg, dass hinter dem Account wirklich Naidoo steht. Das Profil kann im Prinzip jeder angelegt haben. Klar ist, dass Telegram zur ersten Verbreitungsplattform für Naidoos Verschwörungsmythen geworden ist.

Die Wahl von Telegram hat einen Sinn. Dank Gruppen und Channels funktioniert der Messenger auch wie ein soziales Netzwerk. Im Gegensatz zu anderen Plattformen wie Facebook, Instagram und YouTube ist Telegram aber dafür bekannt, nur ein Minimum an Inhalten zu moderieren und zu löschen. Telegram ist deshalb auch eine der wichtigsten Plattformen für Rechtsextreme geworden. Dort lassen sich ideal problematische Inhalte erstmalig ins Netz stellen, die dann von der überzeugten Anhängerschaft weiter verbreitet werden.

Pizzagate: Aus Fantasie wird Gewalt

Wie gefährlich sind Verschwörungsmythen? Pia Lamberty glaubt, das Problem wurde jahrelang unterschätzt. Die Psychologin erinnert sich, wie das Publikum früher bei Vorträgen zu dem Thema reagierte: „Menschen fanden Verschwörungserzählungen witzig und unterhaltsam. Man dachte, das sind harmlose Spinner.“

Das ist jetzt anders. Auch in der breiten Öffentlichkeit wird nun diskutiert, wie Verschwörungsmythen mit Gewalt und Terroranschlägen verknüpft sind. Die mutmaßlichen Attentäter von Christchurch und El Paso bezogen sich in ihren Pamphleten auf einen der populärsten rechtsextremen Mythen: Demnach solle die Weiße Bevölkerung durch eine Nicht-Weiße ausgetauscht werden. Der Gipfel rassistischer Angstvorstellungen.

Auch auf Grundlage des Mythos über gefolterte Kinder wurden schon Gewalttaten verübt. Unter dem Schlagwort „Pizzagate“ verbreitete sich die Erzählung, unter einer Pizzeria in Washington gebe es einen Keller, in dem entführte Kinder vergewaltigt würden. Im Jahr 2016 stürmte ein bewaffneter Mann diese Pizzeria. Dort fand er weder entführte Kinder noch einen Keller. Verletzt wurde niemand. Im Jahr 2019 wurde in New York Francesco Cali, Mitglied einer Mafiafamilie, erschossen. Der mutmaßliche Täter hielt Cali offenbar für einen Angehörigen jener Gruppe, die in der QAnon-Erzählung Kinder foltert.

Wie kann aus einer Aluhut-Fantasie ein Attentat werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich Miro Dittrich von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Er forscht und publiziert über Rechtspopulisten und Rechtsextreme im Netz. „Ich sehe eine Verbindung zwischen Verschwörungserzählungen und Rechtsterrorismus, denn Verschwörungserzählungen können Gewalt legitimieren“, sagt Dittrich.

„Labile Personen könnten das als Handlungsaufruf verstehen“

Die Grundlage dafür sei das extreme Feindbild, das einige Erzählungen heraufbeschwören – zum Beispiel das Bild der Kinderquäler. Ein grausameres Verbrechen könne es kaum geben. „Wenn jemand glaubt, dass Kinder gefoltert werden, kann er durchaus das Bedürfnis entwickeln, etwas dagegen zu unternehmen“, sagt Dittrich. „Gerade labile Personen könnten das als Handlungsaufruf verstehen und in die Tat umsetzen.“

Zu genau diesem Thema forscht auch die Psychologin Pia Lamberty. Lässt sich nachweisen, dass sich Menschen durch Verschwörungsmythen radikalisieren? Erste empirische Studien von Lamberty und ihren Kolleginnen deuten darauf hin. Die Psychologin sieht eine Verbindung zwischen Gewalttätigkeit und Verschwörungsmentalität.

Wie kurz der Weg zur Gewalt sein kann, zeigt auch ein Lied von Xavier Naidoo aus dem Jahr 2012. Der Hidden Track „Wo sind sie jetzt“ erschien auf einem gemeinsamen Album mit Kool Savas. Darin singen die Künstler über ritualisierte Vergewaltigungen und Morde an Kindern. In einer Liedzeile wird den vermeintlichen Tätern offen mit Gewalt gedroht: „Ich bin nur traurig und nicht wütend, trotzdem will ich euch töten.“ Wer genau diese Täter sein sollen, bleibt offen.

Bereits 2012 gab es öffentliche Empörung über das Lied, vor allem, weil sich Teile daraus als homofeindlich lesen lassen. Eine breite Debatte über Verschwörungsmythen blieb aber aus. Offenbar wusste man noch nicht so recht, wie man dieses bizarre Lied einordnen soll. Damals behielt Naidoo seinen Platz in der Jury der Pro7-Show Voice of Germany. Nun, acht Jahre später, musste er die RTL-Show Deutschland sucht den Superstar verlassen.

Die Lieblingswaffe von Rechtsextremen

Verschwörungsgläubige sind nicht automatisch rechts – es gibt aber erstaunlich viele Gemeinsamkeiten mit Rechtsaußen. Miro Dittrich hat dafür eine Erklärung. „Das verschwörungsideologische Weltbild sagt: Die Elite belügt dich. Traue nicht den Massenmedien. Traue nur uns. So können Menschen in eine Informationsblase gezogen werden.“ Eine ähnliche Ablehnung von Eliten und Massenmedien gebe es auch unter Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Die Gruppen hätten wenig Berührungsängste.

Immer wieder tauchen Verschwörungsmythen in den Äußerungen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen auf. Der populärste Mythos ist der vom „Großen Austausch“. Er beschwört den drohenden Untergang der Weißen Bevölkerung herauf, wahlweise gesteuert von der Bundesregierung oder geheimen Eliten. Sowohl bei der AfD als auch bei Pegida und der sogenannten Identitären Bewegung lassen sich immer wieder Bezüge auf diesen Mythos finden.

Auch Xavier Naidoo entwickelt sich zur Ikone der Rechtspopulisten: Seit er im März massiv in der Kritik steht, erreichen ihn jede Menge Solidaritätsbekundungen von rechts, unter anderem von AfD-Politikerinnen und Rechtsaußen-Influencern.

In der engen Beziehung zwischen Verschwörungsglauben und Rechtsaußen sieht Pia Lamberty eine Funktion: „Verschwörungserzählungen lassen sich gezielt als Werkzeug nutzen, um Menschen zu mobilisieren und zu radikalisieren.“

Schon lange gehört es zur Strategie von Rechtsextremen, neue Anhängerinnen und Anhänger mit harmlosen Themen wie Tierschutz oder Kindeswohl zu ködern. Auch Verschwörungsmythen eignen sich dafür hervorragend. „Es ist aber immer schwer zu sagen, ob Menschen eine Verschwörungserzählung nur ausnutzen, oder ob sie wirklich daran glauben“, sagt Lamberty.

Das ändert auch das Verständnis von Rechtsterrorismus. Der mutmaßliche Attentäter von Hanau erfüllt durch seinen offenbar chaotischen und wahnhaften Verschwörungsglauben eher nicht die Erwartungen an einen typischen Neonazi. Trotzdem war seine Tat rechtsextrem und rassistisch, wie auch das BKA inzwischen bestätigt hat. Wer die Gewalt verstehen will, muss Verschwörungsmythen als eine neue Grundlage für rechtsextreme Radikalisierung verstehen – auch wenn die Mythen auf den ersten Blick lächerlich erscheinen.

Auslachen ist keine Lösung

Verschwörungserzählungen sind auch deshalb so gefährlich, weil sie einen eingebauten Schutzmechanismus haben. Dass die Öffentlichkeit heftig widersprechen wird, ist ja bereits Teil des Mythos. Jeder Beleg, der den Mythos eigentlich entkräftet, lässt sich damit als Bestätigung umdeuten. Das macht Widerspruch zu einem gewissen Grad sinnlos. „Wenn man nicht bereits eine Beziehung zueinander hat, kann man bei überzeugten Verschwörungsgläubigen eigentlich nichts erreichen“, sagt Miro Dittrich.

Ins Lächerliche ziehen ist für Dittrich aber auch keine Alternative. „Ich finde, man sollte Mitgefühl mit diesen Menschen haben“, sagt Dittrich. „Vor allem wenn es um eine Verschwörungserzählung über gefolterte Kinder geht. Dann kann sich im Verschwörungsglauben ein massiver Schmerz äußern.“

Auch wer aktiv gegen Verschwörungsmythen anarbeitet, sollte sich besser nicht als Teil einer besonders überlegenen Gruppen sehen. Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung zu irgendeinem Verschwörungsmythos tendiert. Zahlen dazu liefert die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019. Demnach hält etwa jeder dritte Deutsche Politiker für Marionetten anderer Mächte, jeder Vierte glaubt, Politik und Medien würden unter einer Decke stecken. Fast jeder Zweite glaubt an geheime Organisationen, die auf politische Entscheidungen großen Einfluss haben.

Selbst eine Flut an Faktenchecks könnte dagegen kaum ankommen. Das beste Mittel gegen Verschwörungsmythen ist deshalb zu lernen, warum der Glaube daran manchen ein gutes Gefühl gibt – und wie jeder von uns dort hineinrutschen kann.